Nur die halbe Wahrheit ...

Auf der Cadlimohütte im Nordtessin wurde in der Küche gerade das Dessert bereitgestellt, als uns ein Familienvater das Zeichen zum Rauskommen gab. Schon seit zwei Stunden waren meine Kinder Nils und Laura ganz ungeduldig. Alle zehn Minuten verschwanden sie vor die SAC-Hütte und suchten die nahen Felswände nach Steinböcken ab. Mal haben sie weit weg zwei Tiere gesehen, dann verloren sie sie wieder aus den Augen. Doch nun standen sie da: Keine 100 Meter von uns entfernt und im Begriff, noch näher zu kommen.

So ganz zufällig schauten die beiden stolzen Tiere an diesem Abend nicht vorbei: Auf einem Felsvorsprung hat der Hüttenwart einen Salzstein befestigt. "Doch wenn viel Betrieb herrscht kommen sie eher nicht", sagte die Hüttenwartin am Nachmittag.

Heute schien sie der mässige Betrieb nicht zu stören. Rund 20 Gäste standen vor der Hütte und genossen den magischen Moment, Steinböcke aus nächster Nähe beobachten zu können. Und dies notabene zur Fotografen-Prime-Time im sanften Abendlicht. Eine Stunde lang posierten die beiden vor der Hütte - Giatgen und Gian von Tourismus Graubünden lassen grüssen. Dann trotteten sie in unterschiedliche Richtungen davon und verschwanden in der Dämmerung. Inzwischen waren in der gemütlichen Hütte bereits die allermeisten Dessertschalen abgewaschen, nur unsere standen noch immer auf dem Tisch. Doch nichts hätte uns den Abend besser versüssen können als die Begegnung mit den beiden Steinböcken.

Die Wanderung vom Ritomsee zur Cadlimohütte und weiter zum Lukmanierpass (oder statt zum Lukmanier von der Hütte zum Oberalppass) ist übrigens nicht nur wegen den Steinböcken lohnenswert. Das Personal auf der Hütte ist überaus freundlich und hilfsbereit und nur schon darum ein Besuch wert. Die Landschaft - insbesondere die Seenwelt vom Ritomsee zur Cadlimo - ist einfach atemberaubend (ca. 8 km/850 Hm).

Fuji X-T1, XF 55-200, F3.5-4.8 R LM OIS

ISO 640, 1/1400 sec., f4.8